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Arbeitsgericht München


Verkündet am 24. Oktober 2000

Maierhofer
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Geschäftszeichen: 21 Ca 13754/99

I M   N A M E N   D E S   V O L K E S !

In dem Rechtsstreit

XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX     Kläger -

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Blümel & Kollegen, Bayerstraße 13,
80335 München

g e g e n

Landeshauptstadt München
vertreten durch Personal- und Organisationsreferat ?
?1-99/1327, Marienplatz 8
8033? München
                  Beklagte -

erlässt das Arbeitsgericht München
durch Richter am Arbeitsgericht Dr. Romeikat als Vorsitzenden

und die ehrenamtlichen Richter Träger und Schwarz

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09.08.2000

folgendes

E n d u r t e i l :

  1. Es wird festgestellt, daß der Kläger nicht verpflichtet ist, den auf Bl. 2 d. A. wiedergegebenen "Fragebogen zu Beziehungen zur Scientology Organisation" auszufüllen, zu unterzeichnen und an die Beklagte zurückzugeben.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  3. Der Streitwert wird auf DM 5.594,48 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Frage, ob der Kläger verpflichtet ist, einen "Fragebogen zu Beziehungen zur Scientology Organisation" auszufüllen.

Der Kläger ist auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 18.5.1990 (Bl. 46 d.A.) seit dem 21.5.1990 bei der Beklagten als XXXXXXXXXXXXXXX zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt XXXXXXXX (LGr. 3a) beschäftigt. Gemäß §2 des Arbeitsvertrags regelt sich das Arbeitsverhältnis u.a. nach den Bestimmungen des BMT-G II vom 31.1.1962 in ihrer jeweils geltenden Fassung.

Im Rahmen seiner Einstellung füllte der Kläger einen Personalbogen vom 20.3.1990 (Bl. 47-50 d.A.) aus.

Aus einem Arbeitszeugnis der Scientology Kirche Bayern e.V. (Bl. 51 d.A.) ergibt sich, dass der Kläger vom 15.5.1978 bis 31.3.1982 bei der Scientology Kirche Bayern e.V. in der Registratur, später als Leiter der Poststelle und zuletzt als Leiter der Hausverwaltung beschäftigt war.

Mit Schreiben vom 1.9.1999 (Bl. 12 d.A.) bat die Beklagte den Kläger, den beigefügten Fragebogen zur Beziehung zur SO auszufüllen und umgehend zurückzusenden. Der Kläger weigerte sich.

Der Kläger ist der Meinung, er sei nicht verpflichtet, den Fragebogen auszufüllen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers beschränke das Fragerecht des Arbeitgebers. Ob er Verbindungen zur Scientology Kirche habe oder nicht, sei ausschließlich seine Privatangelegenheit. Die Scientology Kirche sei eine religiöse, hilfsweise eine weltanschauliche Vereinigung ohne Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Mitgliedschaft in einer religiös-weltanschaulichen Vereinigung habe den Arbeitgeber nicht zu interessieren. Solange er sich nicht öffentlich zur Scientology Kirche bekenne oder eine herausgehobene Funktion in ihr wahrnehme, habe diese Frage Dritte nicht zu interessieren. Seine Tätigkeit bei der Beklagten sei nicht ideologisch geprägt. Ein konkreter Bezug zu seinem Arbeitsverhältnis sei völlig ausgeschlossen. Es werden auch keine Fragen nach irgendwelchen hervorgehobenen Positionen oder Tätigkeiten gestellt. Selbst wenn die Fragen eine Auswirkung auf sein Arbeitsverhältnis haben würden, stünde der Beklagten noch lange kein Fragerecht zu. Der Umstand, dass er im öffentlichen Dienst tätig sei, ändere daran nichts.

Der Kläger beantragt:

Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, den nachstehenden "Fragebogen zu Beziehungen zur Scientology Organisation" auszufüllen, zu unterzeichnen und an die Beklagte zurückzugeben: (es folgt ein leerer Fragebogen, auf den Bezug genommen wird (= Bl. 2 d.A.).

Die Beklagte beantragt Klageabweisung.

Sie ist der Meinung, der Kläger sei verpflichtet, den Fragebogen auszufüllen. Die Scientology Kirche sei eine extremistische Organisation. Sie beruft sich hierbei auf den Beschluss des BAG vom 22.3.1995 - 5 AZB 21/94, auf die einstimmige Feststellung der ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder aus der Sitzung vom 5./6.6.1997, auf den Abschlussbericht vom 6.5.1997 der Arbeitsgruppe SC der Verfassungsschutzbehörden zur Frage der Beobachtung der Scientology Kirche durch die Verfassungsschutzbehörden gemäß Auftrag der IMK vom 22.11.1996 (Bl. 552 d.A.) und die Bekanntmachung der Staatsregierung über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst vom 3.12.1991 i.d.F. vom 6.12.1994 (Bl. 54-59 d.A.) im Zusammenhang mit dem dazugehörigen Verzeichnis der extremistischen Organisationen vom 6.4.1995 i.d.F. der Bek. vom 3.11.1997 (Bl. 60 d.A.). Da die Scientology Kirche eine extremistische Organisation sei, sei der Kläger verpflichtet, den Fragebogen auszufüllen. Es sei ihr als Teil der staatlichen Ordnung nicht zuzumuten, Personen mittelbar oder unmittelbar zu alimentieren, die aus ihrem Selbstverständnis die staatliche Ordnung ablehnen oder sogar abzuschaffen versuchen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist mangels Anspruchsgrundlage nicht verpflichtet, den ihm von der Beklagten vorgelegten Fragebogen auszufüllen.

Die Beklagte hat das Recht, zu prüfen, ob der Kläger seinen rechtlichen Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis nachkommt. Gemäß § 9 BMT-G II hat sich der Kläger so zu verhalten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird. Er muss sich durch sein gesamtes Verhalten zur demokratischen Staatsauffassung bekennen.

In diesem Rahmen hat sich das Fragerecht der Beklagten zu halten. Einerseits ist anzuerkennen, dass die Beklagte ein Interesse daran hat, sich nach einer Mitgliedschaft des Klägers in einer verfassungsfeindlichen Organisation zu erkundigen, andererseits ist der Kläger nicht verpflichtet, sich über sein Privatleben ausfragen zu lassen. In einem bestehenden Arbeitsverhältnis darf daher der Arbeitgeber nach Auffassung der Kammer seinen Arbeitnehmer ohne konkrete Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Handlungen nicht "ins Blaue hinein" zu geschäftlichen oder sonstigen Beziehungen zu einer Organisation fragen, die er für verfassungsfeindlich hält.

Solche konkreten Anhaltspunkte liegen hier nicht vor. Der Umstand, dass der Kläger vom 15.5.1978 bis 31.3.1982 bei der Scientology Kirche Bayern e.V. in der Registratur, später als Leiter der Poststelle und zuletzt als Leiter der Hausverwaltung beschäftigt war, ist kein Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Tätigkeiten des Klägers. Dies schon deshalb nicht, weil sich aus diesen Tätigkeiten nicht ableiten lässt, dass der Kläger verfassungsfeindliche Ziele verfolgt hat oder in Zukunft verfolgen wird, selbst wenn es sich bei der Scientology Kirche Bayern e.V. um eine verfassungsfeindliche Organisation handeln sollte. Die Tätigkeit in der Registratur, Poststelle und Hausverwaltung ist auch nicht tendenzbezogen. Sie stellt insbesondere keine Führungsposition dar. Zum anderen ist sie offenbar beendet.

Die bloße Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation ist als solche auch noch kein Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Tätigkeiten des Klägers. Die Frage, ob die "Scientology Organisation" als solche oder die Scientology Kirche Bayern e.V. eine verfassungsfeindliche Organisation darstellen, kann daher offen bleiben.

II.

Kosten und Gegenstandswert

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands auf §§ 46 Abs. 2, 61 Abs. 1, 12 Abs. 7 8.1 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff ZPO. Für die Gegenstandsfestsetzung hält die Kammer ein Bruttomonatsgehalt für angemessen.

III. Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Berufung zum Landesarbeitsgericht München einlegen. Für den Kläger findet ein Rechtsmittel nicht statt. Im einzelnen gilt folgendes:

Gegen dieses Urteil kann Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung dieses Urteils beim

Landesarbeitsgericht München
Winzererstraße 104
80797 München

eingelegt werden.

Die Berufung muss innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung schriftlich begründet werden.

Die Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Sie können auch von dem Bevollmächtigten einer Gewerkschaft, einer Arbeitgebervereinigung oder eines Zusammenschlusses solcher Verbände unterzeichnet werden, wenn die Berufung für ein Mitglied eines solchen Verbandes oder Zusammenschlusses oder für den Verband oder Zusammenschluss eingelegt wird.

Der Vorsitzende

Dr. Romeikat
Richter am Arbeitsgericht

Den Gleichlaut der Ausfertigung
mit der Urschrift bestätigt:
München, 26. Okt. 2000 [stamped]

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
[signed]
Maierhofer, RSin z.A.

Das Landesarbeitsgericht bittet, alle Schriftsätze in fünffacher Fertigung einzureichen.